Der Automobile Mensch – Filmrezension

Rezension „Der automobile Mensch“ von Reinhard Seiß, 17.9.2024, 19:00 Kesselhauskino, mit anschließender Diskussion eines Expertengremiums

Der Film zeigte in unaufgeregter Weise mit eindrücklichen Bildern, was unsere Auto-Zentriertheit mit einer Gesellschaft anrichtet. Die Auswirkungen von Schließungen von Nebenbahnen, sei es, die Donauuferbahn, Thayatalbahn oder das sogenannte „Schweinbarter Kreuz“,
aufgrund derer nunmehr LKWs täglich mit Holzladungen oder Gleisschotter zu Tausenden durch die Ortschaften des Wald- und Weinviertels donnern.

Er zeigt gigantomanische Einkaufszentren um Wien (Gerasdorf, oder SCS) mit riesigen Parkplätzen die Autoverkehr ungeahnten Ausmasses produzieren.
Er geht auch mit den nach wie vor geplanten Autobahn- und Schnellstraßenprojekten ins Gericht und zeigt, wie die Zersiedelung aufgrund schlechter oder fehlender Raumplanung seit den 1960er Jahren um sich gegriffen hat.

Der Zeitpunkt für die Vorführung hätte besser nicht sein können.
2 Tage nach der Hochwasserkatastrophe, die vor allem Niederösterreich heimgesucht hat, wird einem sofort klar, warum solche Katastrophen stattfinden und warum sie derartige Ausmaße annehmen. Der Autoverkehr, hat als einer der größten Emittenten von Treibhausgasen einen gewaltigen Anteil an der Erderwärmung. Gleichzeitig wird aufgrund der Bodenversiegelung für die Infrastruktur (Straßenbau, Parkplätze, Einkaufs- und Fachmarktzentren…)das Schadensausmaß vervielfacht.

Schade, dass gerade unser Heimatbundesland Niederösterreich in dieser Dokumentation vielfach als Negativbeispiel dienen muss. Die Verkehrs- und Raumplanungpolitik der letzten Jahrzehnte hat hier leider massiv versagt.

Auch zu sehen im Film sind Gegenmodelle, wie es besser gehen könnte, oder tatsächlich schon viel besser geht. Der Stadt Lienz ist es im Dialog mit Bürger:innen und Geschäftsinhaber:innen gelungen, die Autos aus der Innenstadt zu verbannen, mit dem Ergebnis, dass der öffentliche Raum wieder den Menschen zum Verweilen Platz bietet und die lokale Wirtschaft floriert – leerstehende Geschäfte gehören der Vergangenheit an.
Oder Bremen, wo es durch ein klares multimodales Verkehrskonzept gelungen ist, den Radverkehrsanteil auf 25% zu steigern, und wenn man den Verantwortlichen glaubt, ist das noch nicht das Ende.
Überzeugend auch Gmunden, wo es seit 130 (!) Jahren eine Straßenbahn gibt, die in den 1970er Jahren zugunsten des Autoverkehrs beschnitten wurde und ein Dornröschendasein führte. Im Gegensatz zu vielen Nebenbahnen, denen vor allem in Niederösterreich der Todesstoß versetzt wurde, gelang es dem privaten Betreiber in jahrzehntelanger Beharrlichkeit den Bahnbetrieb auszuweiten: zuerst die Wiederherstellung der Bahn bis ins Stadtzentrum, dann die Verlängerung als „Traunseetram“ 15 Kilometer ins Umland und einem kundenfreundlichen Angebot: mit großem Erfolg, die Fahrgastzahlen konnten massiv gesteigert werden.
Ja und da war dann auch noch Basel, wo man mit einem grenzüberschreitenden Lokalbahnverkehr nach Deutschland und Frankreich und einem Zustellverkehr mit Lastenrädern zeigt, wie es für alle besser geht und gehen kann. Bürgerunterstützte Lebensmittelgeschäfte in umliegenden Dörfern ersparen den Menschen die Autofahrt zum nächsten Supermarkt.

In einem klaren Abschlussstatement meinte der Kremser Bürgermeister Peter Molnar, dass es viele Verbesserungsmaßnahmen braucht, um die Stadt resilienter gegen Klimakatastrophen zu machen – Entsiegeln, Begrünen, Um(ver)kehren. “Wir können keine so hohen Mauern bauen, die für einen Schutz der Stadt und seinerBewohner notwendig wären“.

Ein absolut sehenswerter Film! Und eigentlich ein Pflichtfilm in jedem niederösterreichischen Gemeinderat!

Filmkritik „Der automobile Mensch“ von Michael Omasta, Falter



Kommentar: Grüne Furth
Datum der Veröffentlichung: 18.09.2024